Warum kommen Menschen seit vielen Jahrhunderten dazu, Zen zu praktizieren, mit Körper und Geist den Weg einer Meditationspraxis, die übergegenständlich genannt wird, zu gehen. Einer Praxis, in der und aufgrund der man „zu sich selbst kommen“ soll, worunter sich der eine dies und der andere das vorstellen mag.
„Kann man vom innersten Kern eines Menschen sprechen“, mag beispielsweise der eine sprechen, „macht das einen Sinn?“ Und der andere mag sagen: „Ja, sicher!“ Und ein weiterer: „Ich weiß nicht. Vielleicht.“ (nach Hâkan Nesser, in: Die Einsamen, Frontispiz)
Der oder die eine mag motiviert (worden) sein, den Zen-Weg zu gehen aus einer religiösen Motivation heraus, aus der persönlich empfundenen Erfahrung eines Ungenügens all der traditionell angebotenen Hilfen, um der Sache mit Gott, der absoluten Wirklichkeit allgemein oder der Frage nach Transzendenz und der Rolle für das eigene Leben näher zu kommen.
Andere kommen zur Praxis, „weil [sie gespürt haben, dass] es da Teile gibt, mit denen … [sie] nicht klarkommen“, wie es Barry Magid, Psychoanalytiker und Dharma-Nachfolger von Charlotte Joko Beck, in seinem Buch: Das Ende der Suche nach Glück, S. 61 formuliert hat.
Allen Suchenden dürfte eines gemeinsam sein: das Motiv, inneren Frieden zu erlangen, Einklang mit sich und der Welt zu finden.
Auf den verschiedenen Anwegen zum Zen und dann auf dem Weg des Zen finden sich „Überschneidungen“, soll heißen, bei beiden Gruppen geht es um Transzendenz und das, was wir Transzendenz- bzw. Einheitserfahrung nennen, und es geht darum, wie wir das, was wir in der Stille der Meditation insoweit erfahren dürfen, integrieren mit all den Anteilen, Antrieben, Widerständen, Hindernissen, destruktiven Neigungen, harmonisierenden Bemühungen etc. pp, die uns allesamt immer wieder ablenken und verwirren oder gar in die Irre führen können.
Und weil wir, jeder von uns, wenn auch in unterschiedlichem Maße, bei sich Teile sehen/spüren werden, mit denen wir nicht oder nicht so ohne weiteres klarkommen, oder solche Anteile sich plötzlich in der Stille der Meditation (deutlicher oder drängender) zeigen,
sind [wir] nicht [ohne weiteres] bereit, uns mit [solchen] Inhalten unseres Bewusstseins, wie sie vorkommen, abzufinden (Barry Magid, a.a.O.).
Was wir aber sehen sollten, ist dies:
Wir versuchen, einen Schutzschild zwischen uns und dem Leben zu errichten, in der Annahme, uns so vor Leid zu schützen. Und diese Schutzschilde funktionieren auf ihre Art und Weise, und vielleicht haben wir in schwierigen Zeiten unseres Lebens das Gefühl gehabt, wir könnten ohne sie nicht leben. Aber letztendlich verwandeln sie sich von Mauern, die uns schützen, in Mauern, die uns gefangen halten (Barry Magid in: Ordinary Mind S. 45; Übersetzung von mir).
Und auch folgendes ist wichtig zu erkennen:
Wenn wir versuchen, einem Aspekt des Ichs zu entkommen, verfolgen wir genau die Vorlieben und Abneigungen, Unterscheidungen und Dualismen, die wir eigentlich loswerden wollen (Barry Magid in: Das Ende der Suche nach Glück, S. 67 f.).
Denn wer ist es, der hier versucht, etwas zu schaffen? Genau! Unser Ego ist es mit seinem Ich-Bewusstsein.
Was also tun? Da können uns vielleicht folgende Ausführungen von Barry Magid weiterhelfen:
…In der Praxis des bloßen Sitzens legen wir weniger Wert auf Höhepunkterlebnisse und mehr darauf, uns einfach unseres Widerstands bewusst zu sein, bei unserer Erfahrung von Augenblick zu Augenblick zu bleiben. … [Aber] wie kommen wir vom Sprechen über Einheit als eine einzigartige, aber vorübergehende subjektive Erfahrung zum Verständnis, wie Einheit in unserem täglichen Leben funktioniert? …
Zen ist nicht daran interessiert, solche momentanen Erfahrungen der Einheit um ihrer selbst willen herbeizuführen, sondern wertschätzt sie (zumindest potenziell) als Auslöser jener langfristigen Veränderungen in Charakter und Motivation, die mit dem Aufgeben einer dualistischen Perspektive einhergehen können. (Barry Magid, Ordinary Mind, S. 47 ff.; Übersetzung von mir).
Aber auch umgekehrt wird ein Schuh daraus:
- Erfahrungen im alltäglichen Dasein,
- das Erleben von Leben, das unsrige und genauso das uns vielfältig umgebende, umfassende Leben überall,
- was uns geschieht,
- unsere Aktionen und Reaktionen,
- unsere Siege und Niederlagen,
- unser Gelingen und Nichtgelingen,
- Geschehnisse, die uns schleierhaft sind und sich vielleicht hier und da zu lichten beginnen und in kleine oder größere, in flache oder tiefe Einsichten münden, all dies wirkt seinerseits auf unser Zazen, unsere Übung im Schweigen auf dem Kissen, dem Bänkchen, dem Hocker oder Stuhl, ein.
So geht es hin und her, wie bei einer Schaukel. Der Schwung muss im Hin, aber auch im Her gegeben werden. In solch einem Hin und Her – Schwingen wirkt alles zusammen. Es ist so eine nicht getrennte Praxis, der wir uns verschreiben. Die Übergänge werden immer fließender, unser Sein, Sein überhaupt, wird immer selbst-verständlicher.
In unserer täglichen Praxis ist das Kennzeichen der Nichttrennung dieses: kein Widerstand – die Bereitschaft, einfach das zu tun, was als Nächstes kommt. … Wie wir eine bestimmte momentane Erfahrung klassifizieren, ist nicht entscheidend. Was zählt, ist, wie sie sich in unserem Leben auswirkt (Barry Magid, Ordinary Mind, S. 54 f.; Übersetzung von mir).
Geben wir genau darauf acht! Und machen wir uns – um es zu wiederholen – immer wieder bewusst, dass es da nicht eine Einbahnstraße von Erfahrung im formalen Üben hin zum Leben in unserem gewöhnlichen Alltag gibt, sondern dass die Übungspraxis ein Kreislaufverkehr ist.
Wie ich im Leben da bin oder eben auch nicht, wirkt sich auf den Zustand und die „Qualität“ des Zazen aus, wie es auch umgekehrt geschieht. Was wir heute hier auf diesem Zazenkai in diesem geschützten Raum tun, hat Auswirkungen, wenn wir das Haus wieder verlassen. Und wie sich der Tag heute hier für uns entwickelt, wird von alldem mitbestimmt, was wir hier in diesen Raum reinbringen.
Öffnen wir uns immer mehr diesem:
Vergangenheit, die ganze Vergangenheit, ist – Jetzt.
Zukunft, die ganze Zukunft, ist – Jetzt.
Danke!
(Klaus Fahrendorf (Cloud of merciful Awareness): Teisho am Zazenkai vom 16. 02. 2025)