Ein Auszug aus einem Interview, das Justinus Jakobs von der Regionalgruppe Münster der Zeitung des Bistums Münster „Kirche und Leben“ im Dezember 2024 gegeben hat.
Was bedeutet eigentlich Zen-Meditation?
Es gibt die schon fast klassisch gewordene Kurzdefinition von P. Lassalle SJ, dem Pionier des Zen für Christen: „Sich in seinem Leibe aufrichten und in seinen Gedanken lassen“. Und das macht auch schon deutlich, dass es im Zen nicht nur um die Übung des Sitzens in Meditationshaltung geht, sondern um eine Lebenshaltung, die den Alltag durchformt. Denn in all unserem Tun und Lassen ist es möglich und geht es darum, sich leiblich aufzurichten und die Gedanken zu lassen.
Die Übung des Sitzens im engeren Sinn, das sog. Zazen, ist zunächst eine Praxis des absichtslosen Daseins in Stille und darin auch eine Initiation dieser aufrichtigen und gelassenen Lebenshaltung, die P. Lassalle wohl gemeint hat. Indem wir in Stille sitzen, üben wir uns gleichsam ein in diese viel ganzheitlichere Praxis, die immer mehr unser ganzes Leben verwandeln soll. Es gibt unterschiedliche Spielarten, das zu befördern. Manche haben die Gabe, wirklich einfach nur zu sitzen, nichts damit zu verbinden und sich gewissermaßen von jeder Aktivität loslösen zu lassen. Wir nennen das Shikantaza, vielleicht die schwierigste Spielart, die den meisten Übenden erst im Laufe der Zeit möglich wird. Etwas zugänglicher ist das Verfolgen des Atems in gelöster Konzentration. Das kann auch mit einem stillen inneren Zählen der Atemzüge verbunden werden, was es etwas leichter macht, mit der Aufmerksamkeit beim Atem zu bleiben.
In einigen Schulen des Zen, wie etwa auch in der unseren, der Sanbo-Schule, wird das Sitzen mit der inneren Ausrichtung auf ein sog. Koan verbunden, also eine dieser „Rätselgeschichten“, die zum kulturellen Erbe der Menschheit gehören und die auf der Ebene unseres binär arbeitenden diskursiven Verstandes nicht lösbar sind. Sie lassen gleichsam all unsere gewohnten Konzepte, mit denen wir sie zu ergründen versuchen, „gegen die Wand laufen“, zu der hin wir ja auch konkret sitzen. Eine Weise des Losgelöstwerdens von unseren mentalen Einstellungen, die uns so zu verändern vermag, dass wir gleichsam selbst zu einer Lösung des Koans werden. Dadurch, wie wir da sind, schweigen und reden, handeln und lassen, „zeigen“ wir die Lösung.
Es ist angeraten, sich von einem erfahrenen Zen-Lehrer auf das Gleis der für mich passenden Übung setzen und auf diesem Weg begleiten zu lassen. Auch um möglicherweise schädigende Nebenwirkungen zu vermeiden, zu denen es in jeder unerfahren und unbedacht angewandten Form der Meditation kommen kann. In keinem Fall aber dürfen wir Zen auf Sitzmeditation reduzieren. Es ist wichtig, dieses Sitzen im Alltag zu üben, aber noch wichtiger ist es, dass unser Alltag zu einer Übung wird, um es mit einem Buchtitel von Graf Dürckheim zu sagen.
Der Pionier des Zen für Christen, der lange in Japan lebende Pater Hugo Lasalle, ließ sich vom buddhistischen Zen-Meister Kôun Yamada schulen und wurde zum Zeugen dafür, dass Christen auf dem Weg der Zen-Kontemplation zur Erfahrung des gegenwärtigen „Christus IN euch“ gelangen können. Wie erklären Sie diese Spiritualität?
Dass Christus in uns wohnt, ist nicht zuerst ein Glaubenssatz, auch nicht etwas, was wir erst nach langem Mühen und Üben erfahren können. Es ist vielmehr immer schon unsere innerste Wirklichkeit, unser wahres Selbst, da anzutreffen, wo wir wirklich wir selber sind, eins mit uns und dem anderen. Von daher ist diese Spiritualität keine Spiritualität des Bekennens und letztlich auch nicht des Bemühens und der Übung, wenn sie als Leistung empfunden oder missverstanden werden. Es ist eine Spiritualität, in der wir einfach unser gewöhnliches Leben leben, in der wir tun, was zu tun ist, in der wir sind, was wir eben gerade sind, und damit immer mehr einverstanden sind. Es ist keine Spiritualität der angestrebten Veränderung. Es ist vielmehr eine Spiritualität des Aufwachens in dem Sinne, dass ich anfange zu realisieren, was eigentlich ist und wer ich eigentlich bin.
Und was es da zu entdecken gibt, ist oft überhaupt nicht angenehm. Es ist auch gerade nichts Besonderes. Es ist das Allergewöhnlichste. Und in dem Maße, in dem es mit der Zeit möglich wird, all das, was sich da zeigt, anzunehmen, es gleichsam zu umarmen und ins eigene Herz zu nehmen, werde ich dessen inne, dass ich das gar nicht selber tue, dass es die Wirkung einer Kraft ist, die tief in mir liegt und die ich nicht selber bin, die wie aus dem Nichts heraus in mir wirkt. Darin liegt die Ahnung dieser Dimension des „gegenwärtigen Christus IN mir“, der mich genau so gewollt und angenommen hat, wie ich mich da vorfinde.
Was raten Sie anderen Menschen, die auf der Suche nach sich selbst und nach Gott sind?
Stellen Sie sich der eigenen Sehnsucht und dem eigenen Schmerz. Haben Sie den Mut, da hinein zu spüren. Nehmen Sie sich damit ernst. In beidem liegt Ihr Reichtum und liegt Ihre Würde. Bleiben Sie damit nicht allein. Wir brauchen einander, um vertrauen zu lernen, wo wir wirklich mit uns selbst in Kontakt kommen. Lassen Sie sich helfen, sich damit anzunehmen und darin ihre eigene Spur zu finden. Ob diese Hilfen Psychotherapie, Lebensberatung oder Geistliche Begleitung heißen, ist zwar nicht unbedeutend, aber letztlich nicht entscheidend. Entscheidend ist eine menschlich integre, erfahrene, (fach-)kundige und ausschließlich an Ihnen selbst orientierte Begleitung, in der sie sich wirklich gesehen fühlen und die Ihnen hilft zu unterscheiden.
Üben Sie Distanz zum Besonderen, zu den starken Reizen und Effekten, zu den hochfahrenden Idealen. Üben Sie die kleine Treue in dem, was Sie zu leben unternommen haben: im einfachen Tun dessen, was dieser Moment, dieser Mensch und dieses Wesen jetzt von Ihnen braucht. Darin werden sinnvolle Zusammenhänge, Sinn-Zusammenhänge, sichtbar, denen Sie folgen dürfen. Lassen Sie die unzähligen Spaltungen (Gott oder Mensch, Gott oder Ich, Gott oder die Welt, Ich oder die anderen, personal oder a-personal, geistlich oder alltäglich, Christentum oder Buddhismus, Zen oder Gebet …) ins Leere laufen. Sie sind schon bei sich und bei Gott, auch wenn es gerade nicht angenehm ist und Sie sich das anders vorgestellt haben. Schließen Sie Frieden mit sich. Und üben Sie zu glauben: Der und die und das andere – ich bin wie sie.