Der deutscher Schriftsteller Navid Kermani, der bereits mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde für seine Romane und Essays, beschreibt in seinem Buch „Ungläubiges Staunen“ seine persönliche Annäherung und Sichtweise auf einzelne bekannte und auch weniger bekannte Werke aus der christlichen Kunst und Kultur.
Er schaut als Muslim auf diese christlichen Kunstwerke, immer wieder im Austausch mit einem katholischen Freund, und nähert sich den einzelnen Darstellungen sehr persönlich, aber auch mit objektiven Informationen, um sie für sich zu deuten und zu „lesen“.
In einem dieser Texte schreibt Kermani dem Sinne nach folgendes, nämlich dass wir im Christentum womöglich in einige Schwierigkeiten geraten seien, seitdem der geniale Bildhauer und Maler Michelangelo Buonarroti diese in aller Welt berühmte und großartige Darstellung von Gottvater bei der Erschaffung Adams gemalt hat.
Eine allseits bekannte Szene aus dem berühmten Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle, in der die Fingerspitzen der beiden Beteiligten ganz kurz vor der entscheidenden Berührung stehen.
Seitdem hat sich, so vermutet Kermani weiter, das Bild von Gottvater als weißhaarigem, altem, vollbärtigem Mann hoch oben in den Wolken verständlicherweise in unseren Köpfen ziemlich festgesetzt.
Und das ist natürlich fatal. So gerade aus unserer Sicht betrachtet, nämlich auf dem spirituellen Weg, dem Zen-Weg, dem Weg der Zen-Kontemplation.
Denn auch im Christentum ist überliefert, dass man sich eben kein Bild von Gott machen soll. Genauso, wie z.B. in der jüdischen und der muslimischen Tradition.
In der Zeit vor Michelangelo wurden wohl durchaus Symbole für Gott verwendet, wie z.B. das Auge, welches alles sieht. Es schien möglicherweise einfacher für die Menschen den allmächtigen Gott durch irgendetwas darzustellen, als sozusagen überhaupt nicht.
Was ich damit sagen will, ist, dass uns ausgerechnet diese konkreten Bilder, bzw. Vorstellungen zu großen Hindernissen auf unserem Weg werden können. Die Geschichten und Erzählungen, die uns -in unserem Fall die christliche Religion- eigentlich nur verständlicher machen wollen und die wir von Kindesbeinen an gewöhnt sind, sollen wir nun plötzlich vollkommen loslassen und vergessen? Zumindest kurzfristig? Ist das nicht irgendwie „Verrat“ oder sogar irgendwie gefährlich für uns? Verlieren wir denn dabei nicht ganz und gar uns selbst?
Und was bekommen wir denn dann dafür? Irgendetwas anderes Schönes zum Festhalten?
– Nein, das eben gerade nicht! Genau darum geht es ja. –
„Verlieren“ tun wir ausschließlich unsere selbstgemachte Illusion, unsere selbst erdachte und erwünschte Idee von uns selbst. Also unser sogenanntes Ego, gegen das als solches nichts einzuwenden ist.
Aber geschenkt dafür bekommen wir zweifelsfrei viel, viel mehr: Nämlich alles!
Dennoch, dieses vollkommene Loslassen in dieses total Unbekannte hinein, erfordert eine enorme Menge an Mut und womöglich eine noch riesigere Menge an Vertrauen!
Und das gilt übrigens für alle Menschen auf dem Weg, egal in welcher Religion, und auch egal, welches Bild oder Nichtbild jeder hat von seinem „Gott“ oder der „göttlichen Wirklichkeit“ oder wie man es auch nennen mag, denn dieses sogenannte Ego haben wir alle.
Als Übender jedenfalls kommt man dann doch irgendwann in eine Tiefe oder eine Ebene, wo man bemerkt, dass jede kleinste Vorstellung von Buddha oder Christus o.a. plötzlich nur noch stört.
Dass man sie nicht mehr braucht, ohne dass etwas schmerzt, ängstigt, kaputt oder gar verlustig geht. Welche Befreiung.
Aber all das gerade von mir Gesagte gilt vor allem für Menschen, die wie wir auf einem spirituellen Weg sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Glaube, bzw. innigster Glaube und die Umsetzung dessen im Leben nicht die gleiche Wertigkeit hätten! Wir dürfen bitte nicht der Versuchung erliegen, den spirituellen Weg als etwas ganz Besonderes oder was Besseres anzusehen und damit nur versuchen würden, uns selbst zu erhöhen!
Nicht jeder Mensch sucht und nicht jeder Mensch muss suchen. Aber jeder Mensch, ja jedes Lebewesen hat seine eigenen Talente und Fähigkeiten, und auch ohne einen sogenannten spirituellen Weg zu gehen, ist es selbstverständlich möglich, vollkommen und natürlich in Übereinstimmung mit dem Leben zu leben.
Unsere göttliche, wahre Natur ist immer in allen und allem, genauso, wie sie gerade ist. Kein besser oder schlechter! Und keinerlei Unterschied in Sachen heilig oder profan!
Dazu die schöne Frage: „Woran merkt man einem Menschen an, dass er einen spirituellen Weg geht und/oder er oder sie bereits eine gewisse Erkenntnis erreicht hat?“ – Antwort: „Am besten gar nicht!“ –
In diesem Sinne:
Einfach weitermachen!
Denn es ist etwas Besonderes, auf dem Weg zu sein und wir dürfen dafür sehr dankbar sein, wenn es uns „erwischt“ hat!
Danke.
UR-F