Hakuin malt Bodhidharma

Heute möchte ich gerne über eine Tuschemalerei sprechen. Und zwar über die einigen von uns bekannte Darstellung des Bodhidharma, dessen Fotokopie seit geraumer Zeit bei uns im Zendo hinter dem Altärchen und ebenso im Zimmer bei mir zu Hause steht.

Sie spricht mich immer wieder sehr an, und ich schätze sie sehr.

Zuerst ein paar Fakten, bzw. ich sollte vielleicht lieber sagen Legenden, denn das sind offenbar die allermeisten. Historisch belegtes gibt es kaum. Der dargestellte Bodhidharma soll ein aus Indien stammender Sohn eines Königs gewesen sein, der in die Kriegerkaste hineingeboren wurde. Er entdeckte offenbar für sich die buddhistische Meditationsform und wanderte irgendwann aus Indien weiter nach China. In der Provinz Henan ließ er sich schließlich nahe dem Shaolin Kloster nieder und saß dort ca. 9 Jahre in einer Höhle mit dem Gesicht zur Wand. Er gilt als Urvater des in China entstandenen Chan- oder auch Zen-Buddhismus und als Begründer der Kampfkunst Kung Fu. – So zumindest lauten eine Vielzahl der bunten Legenden über ihn. Bodhidharma entwickelte ein meditatives „Programm“, bei dem er sich eng an die Lehren des Mahayana Buddhismus hielt. Zusätzlich zur meditativen Übung der Schüler stellte er ebenso ein aus einer Kampfkunst kommendes körperliches Trainingsprogramm zusammen, um den Menschen in seiner Gesamtheit zu fördern und nicht nur einseitig die geistigen Kräfte, sodass die körperlichen Kräfte verfielen. Wichtig dabei blieb ihm aber immer der Weg hin zur Erleuchtungserfahrung. Das Shaolin-Kloster wird auch heute noch aktiv betrieben und ist berühmt durch die Kampfkünste seiner Mönche.

Die Darstellung des Bodhidharma, die ich heute hier meine, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Zenmeister Hakuin Ekaku (1686-1768). Ich entdeckte auf meiner Suche eine ausgesprochen ähnliche Tuschemalerei, die eindeutig ihm zugerechnet wird, sie hängt heute im Minneapolis Institut of Art. Typisch für Hakuin sei die karikaturhafte Art der Darstellung. Für mich zeigt sich das wohl am ehesten in einer gewissen Verschmitztheit des Blickes, mit dem er den Bodhidharma schauen lässt.

In den Texten kennt man ihn auch als „Barbar aus dem Westen mit dem roten Bart“. Auf vielen Darstellungen jedoch erscheint er auch mit schwarzem Haar und Bart, auf jeden Fall sehr viel jünger aussehend und immer enorm kraftvoll. Meist trägt er schwarzes, längeres Haar, wenngleich scheinbar schon früh mit ziemlich kahlem Haupt, dafür aber mit vollem, schwarzem Bart und höchst eindrucksvollen, wuchtigen, schwarzen Augenbrauen. Beinahe beängstigend scharf und durchdringend jeweils der Blick aus seinen dunklen Augen. Die übergroßen Augen erhält er, weil er sich der Sage nach die Augenlider ausgerissen haben soll, da es ihn geärgert hätte, dass sie ihm während der Meditation immer wieder zufielen und er einzuschlafen drohte! In den Darstellungen Bodhidharmas seitens der Kampfkunst sieht man ihn dann natürlich als Kämpfer in absolut energiegeladenen Bewegungen sozusagen „durch die Luft wirbeln“, aber dabei eben immer komplett gesammelt und hoch konzentriert im Augenblick.

„Unsere“ Darstellung dagegen zeigt ihn ja eher als uralten Mönch. Die Knochen seines Schädels, seiner Wangen, die lange, krumme Nase und die großen, nach unten gezogenen Ohren mit dem Ohrring lassen unzweideutig darauf schließen. Die Haut über den Augen scheint heruntergerutscht zu sein und unterhalb der hängenden Augen sieht man dunkle Ringe. Der gesamte Kopf sitzt ziemlich weit vorne, sodass auch die schmalen Schultern und der leicht gekrümmte obere Rücken den Eindruck eines in sich zusammengesunkenen alten Mannes verstärken. Man sieht ihn eigentlich von seiner linken Seite her, aber sein Gesicht ist uns, den Betrachtern zugewandt, und sein Blick trifft eindeutig und präzise unsere Augen. Der gesamte Kopf ist in zarten, hell- bis dunkelgrauen Pinselstrichen gemalt, während seine Mönchsrobe ganz überwiegend in wenigen, aber kräftigen schwarzen, kalligraphieartigen, etwas breiteren Pinselzügen gefertigt ist. – Einfach großartig!

Was mir aber nun so ganz besonders gut an diesem Bild gefällt und worüber ich sozusagen den Einstieg gefunden habe, ist der Kopf- und Gesichtsbereich. Er erinnerte mich nämlich sofort stark an chinesische Landschaftsbilder.  Hoch oben, weit entfernt und an einen Berggipfel erinnernd, die Form des Schädels. Vielleicht sogar mit Schnee bedeckt. Dann die Hänge nach unten, evtl. schon bereits geschmolzener Schnee, die ersten Wiesen kommen zum Vorschein z. B. im Stirnbereich und der Gegend der hängenden Augenbrauen. Kleinere und größere Wasserfälle könnte man sehen und/oder abfallende und karge Steilwände im Bart, dem Hals und den Haaren seitlich und hinten. Und dann sieht man in den klaren, kraftvollen und gezielten schwarzen Pinselstrichen das Gewand und die steilen, niederen Bergteile, die direkt auf den hiesigen Erdboden zukommen. Nämlich direkt auf uns, die Betrachter, die gerade eben noch bis hoch oben auf die Bergspitze geschaut haben und vielleicht sogar noch weiter. Was für eine gewaltige Perspektive!

Nach unten hin laufen diese Striche dann aus. Sie schließen das Bild also nicht ab oder umreißen es gar fest. Die Zeichnung liegt weit offen in dem weiteren, umgebenden Raum direkt vor uns. Sind eventuell sogar wir selbst da mit einbezogen und gemeint? Was für eine weitere gewaltige Perspektive!

Die uralten Augen jedenfalls, fast schon müde erscheinend, schauen doch noch unbesiegbar klar und scharf, direkt in uns hinein oder sogar durch uns hindurch. Dieser uralte Mönch hat schon Alles gesehen! Ihn kann man mit nichts mehr überraschen oder erschrecken. Mit einer großen Milde und Abgeklärtheit schaut er voller Aufmerksamkeit und interessiert auf den, der da gerade kommt oder vor ihm steht, bzw. auf die gerade jetzt aktuelle Situation und sämtliche Beteiligten. Ein für mein Verständnis beinahe liebevolles, leicht verschmitztes, auf jeden Fall sehr verständnisvolles Lächeln liegt in seinen Augen und deutet sich für mich auch in den etwas hochgezogenen Wangenknochen an. Der halb verborgene Mund scheint neutral.

Aber worum geht es Hakuin in dieser Darstellung des Bodhidharma nun eigentlich? Was will er uns mit dieser Tuschemalerei deutlich machen? Scheinbar wird hier erstmal ein Mensch dargestellt. Der Mönch Bodhidharma. Ganz konkret eben genau dieser eine Mönch. Dieser alte Mönch. – DER alte Mönch, wie es so oft heißt?

In ihm entdecken wir die ganze Welt der Natur. Hohe Berge, Felsen, Wasser, Wiesen usw. und umgekehrt. Die Gestalt des Bodhidharma formt sich aus eben dieser Natur. Kein Unterschied, keine zwei. Beides untrennbar. Hakuin hat hier meiner Ansicht nach in dieser wunderbaren, weisen und tiefen Ausformung des Mönches und Zen-Meisters Bodhidharma vollkommen unser aller wahres Wesen aufgezeigt. Eine Art Huldigung, Ehrerbietung? Vielleicht. Ich glaube aber, es ist eher eine freudvolle Malerei eines gleichrangigen Zen-Erfahrenen, auf Augenhöhe mit dem Gemalten selbst. Der eine erkennt den anderen.

Und das kleine, milde, vielleicht verschmitzte Lächeln, das ich zu erkennen glaube, ist einerseits ein Zeichen für den Humor, der immer wieder auch in den Koans zutage tritt, als auch, und das vor allem, ein Zeichen des großen Mitgefühls und der Barmherzigkeit, welche natürlicherweise immer vorhanden ist in der großen unendlichen Weite und Leere, die wir alle sind.

Danke.

UR-F