Wenn ich hier jetzt in die Runde schaue und uns alle auf unseren Matten sitzen sehe, muss ich grade an Pater Johannes denken. Am kommenden Sonntag, dem 22. Juni ist sein neunter Todestag. Als ich ihn in den Wochen vor seinem Tod in Limburg in seinem Zimmer besucht habe, zeigte er vom Bett aus auf seine Matte und sagte: “Stephanie, dies ist mein Meditationszentrum.“ So kann ich jetzt sagen – Herzlich willkommen auf deiner Matte, in deinem Meditationszentrum – Zentrum!
Im November letzten Jahres haben wir begonnen mit den Zazenkais am jeweils dritten Donnerstag im Monat. Bisher war dies immer ein Werktag. Wir haben das auch wahrgenommen und Klaus hat das ein oder andere Mal zu Beginn seines Teishos darauf hingewiesen. Da waren bei geöffneten Fenstern im Kinhin die Kinderstimmen zu hören – das Lachen und Rufen – die Geräusche von Bobbycars und die Stimmen der Erzieherinnen vom Kindergarten hier am Haus.
Heute ist das anders – heute ist ein Feiertag – Fronleichnam. In unserem Programm Leben aus der Mitte ist es bereits jahrzehntelang eine Tradition, dass auch über Fronleichnam ein Sesshin stattfindet. So auch in diesem Jahr und wir dürfen uns heute besonders verbunden fühlen mit allen Teilnehmenden und Pater Paul in Meschede im Haus der Stille.
Fronleichnam – ich kann mich noch gut erinnern, dass mir als Kind dieses Wort Fronleichnam unverständlich vorkam. Leichnam – das Wort fand ich beunruhigend und beängstigend. Und das Wort Fron konnte ich gar nicht verstehen und es hat mir auch niemand erklärt. Doch dann hat mich eine Tante mitgenommen zur Prozession.
Und da war etwas ganz Anderes in mir: Freude und etwas Schönes – zusammen mit den anderen Menschen und den Kindern zu gehen, zu beten und zu singen – die vielen Fahnen zu sehen und die vielen Blumen und Blüten in den Hauseingängen und Einfahrten. Vielleicht war ich da dem, was an diesem Tag gefeiert wird, viel näher als ich erfassen konnte.
Wir wissen hier alle, dass das Wort Fron aus dem Mittelhochdeutschen Wort Vron kommt und soviel wie Herr bedeutet und Lichnam für den Leib steht. Es steht für die Gegenwart Christi in Brot und Wein – Gegenwärtigkeit Christi.
Wenn wir nun auf unsere Zen-Übung schauen – was hat das mit Zen, mit unserer Praxis von Zen zu tun?
Mir kam direkt in den Sinn, was wir heute am Abend zum Abschluss des Zazenkais von Ulrike gesprochen hören werden, wenn wir die großen Verneigungen vollziehen. „Lasst uns gegenwärtig sein in seiner Gegenwart von nun an bis in Ewigkeit!“ Dies ist ein Aufruf an jede und jeden von uns ernsthaft Übenden – Lasst uns gegenwärtig sein!
Was ist denn dieses Gegenwärtig Sein – wie bin ich denn gegenwärtig?
Wenn wir nach annähernden Worten schauen, dann können wir vielleicht auch von Wachheit, von Präsenz sprechen.
Wach sein – ganz wach sein – darum geht es auch in einem bekannten Koan aus dem Mumonkan – der torlosen Schranke – einer Sammlung des Zenmeisters Mumon. Es ist der Fall Nummer 12: Zuigan ruft sich selbst Meister. Da ist der Meister Zuigan – er pflegte jeden Tag sich selbst zuzurufen: Meister! Und zu antworten: Ja! Dann rief er erneut: Ganz Wach! Ganz wach! (Wenn wir hier genau hinhören heißt es ganz wach! Ganz!) Und er antwortete: Ja – Ja! Lass dich nicht von anderen täuschen, an keinem Tag, zu keiner Zeit! Nein! Nein! Soweit das Koan.
Wenn ich nun so in dieses Koan hinein spüre, wird wohl mancher Mönch, der Zuigan da gehört hatte, eher verwirrt oder irritiert gewesen sein. Sind wir das auch? Machen wir vielleicht auch einen Unterschied zwischen dem, der ruft und dem der antwortet? Was will dieser Meister Zuigan seinen Mönchen und auch uns heute mit diesem Koan sagen und mit diesem ganz wach vermitteln?
Zen fordert uns auf und fordert uns heraus, in jedem Augenblick wach zu sein – ganz wach – gegenwärtig zu sein!
Vor wenigen Wochen war ich auf einer Pilgerreise nach Rom und Padua. In der Basilika in Padua, dort wo besonders der Heilige Antonius verehrt wird, dessen Sarkophag in dieser Basilika Ziel unendlich vieler Pilgerinnen und Pilger und Wallfahrten ist, dort lag eine deutsche Zeitschrift aus zum Amtsantritt von Papst Leo XIV. Ein Ordensbruder und Priester Franz-Maria Endres aus Würzburg hatte einen kleinen Artikel zur Kraft des Geistes geschrieben. Darin heißt es:
„Wenn der über alles Erhabene, der Unendliche, in meiner kleinen endlichen Welt gegenwärtig wird, dann nicht als ein Teil dieser Endlichkeit neben vielen anderen Teilen, sondern als der GanzAndere, als der alles Umfassende, der doch ganz in der kleinen Endlichkeit zugegen ist, gegenwärtig ist.“
Für mich heißt das gegenwärtig sein in seiner Gegenwart – Christus wirklich in mir – Christuswirklichkeit in mir.
Schließen möchte ich mit einem für mich wunderbaren Text von Silvia Ostertag – einer deutschen Zen-Meisterin, die auch von Pater Johannes sehr geschätzt wurde.
Überschrieben mit dem Wort Präsenz und immer wieder hinführend zum Atemgeschehen sind es Worte, die uns im Gegenwärtig Sein unterstützen.
Mögen diese Worte uns eine Inspiration und Motivation für die weitere Meditation heute und darüber hinaus sein.
Präsenz
Sitzen in der Stille führt in Präsenz.
Präsenz ist übergegensätzlich.
Übergegensätzlich meint,
gleichzeitig zu sein
und nicht zu sein.
Wie kann ich
In meinem Atem
Sein
und
Nicht sein?
Die Übung ist nur,
die Sinne zu sammeln
und sich hineinzubegeben
in diesen Einatem,
in diesen Ausatem.
Sich hineinbegeben
bis zum Einssein
mit diesem Ein,
mit diesem Aus.
Im Einssein mit Atem ist
kein Atem und kein Ich.
Kein Drin und kein Draußen.
Kein Etwas und kein Nichts.
Im Weder-Noch ist Präsenz,
Atemzug für Atemzug.
Man muss das nicht verstehen.
Es genügt,
wenn man es erfährt.
Man muss nicht
nach der Erfahrung suchen.
Es genügt,
wenn man sich hineinbegibt
in diesen Einatem,
in diesen Ausatem.
Jetzt und jetzt.
Danke!
Stephanie Hahn