In der ganzen letzten Zeit entwickle ich immer mehr Sympathie für unser sogenanntes Ego und möchte hier einmal eine Lanze für es brechen.
Dieses schreckliche Ego, welches uns immerzu im Wege zu stehen scheint, wenn wir mal wieder das Gefühl haben, überhaupt nicht weiterzukommen auf dem Zen-Weg.
Ich zitiere den schönen und einprägsamen Satz von Pater Kopp: „Das Ego ist viel besser, als sein Ruf!“
Ego kommt aus dem Lateinischen und bedeutet einfach: „Ich“. Ganz grob gesagt steht es für die Vorstellung, die jeder Mensch von sich sich selbst hat, also eine Art Selbstkonzept, welches für das Gefühl einer ganz eigenen, persönliche Identität verantwortlich ist.
Obwohl dieses „Ich“=Ego also letztlich nur eine Illusion ist, ist es absolut notwendig für unser Leben!
Es ist dazu da, uns in unserem Leben zu orientieren, Dinge und Situationen einzuordnen und zu beurteilen, Erfahrungen zu verarbeiten und Lösungen aller Art zu finden, um unser Leben zu verbessern und vor allem zu erhalten! Genau das ist seine Natur.
Also nichts Furchtbares, sondern im Gegenteil.
Nur bei unserer Meditation, unserem Versuch der unendlichen Wirklichkeit, dem göttlichen Geheimnis näher zu kommen, scheint es andauernd im Weg und ausschließlich hinderlich zu sein.
Stimmt natürlich so auch nicht.
Unser Ego produziert ununterbrochen Gedanken, ist immer aktiv, denn das ist seine naturgegebene Aufgabe. Leider glaubt es, und damit wir, dass wir ein getrenntes, jeweils eigenständiges Individuum seien. Wir identifizieren uns mit dieser Vorstellung von uns selbst, glauben aus uns selbst heraus zu existieren und wollen die Kontrolle darüber behalten. Und genau das ist der große Irrtum, das große Dilemma, in dem wir alle stecken.
Aber es ist möglich, diesen „Irrtum“, diese Illusion zu überwinden und uns der Erfahrung hinzugeben.
Wie z.B. hier auf dem Zen-Weg, der Zen-Kontemplation und ebenso auf den verschiedenen anderen spirituellen Wegen mit meist langer Tradition.
Also sollten wir auch in der Meditation nicht versuchen unser Ego auszumerzen oder gar töten zu wollen, wie es oft gesagt und geschrieben steht. Mir sind diese Begriffe viel zu harsch, aggressiv und zu negativ. Persönlich finde ich das Wort „transzendieren“ besser und möchte es eher so ausdrücken: Wir sollten erst einmal versuchen, die vielen Gedanken und Gefühle, die das Ego ständig produziert, zu akzeptieren und sie anzunehmen, uns dabei aber möglichst nicht von ihnen einfangen oder gar völlig einwickeln und wegtragen lassen. Am besten einfach laufen lassen und sie, wenn möglich, nicht weiter groß beachten.
Andererseits können hartnäckig wiederkehrende Gedanken uns natürlich auch darauf hinweisen, dass da etwas im Inneren nach Aufmerksamkeit ruft, gesehen und bearbeitet werden will und ebenso können plötzlich aufsteigende Gedanken wertvolle Einweisungen auf unserem Weg sein.
Also bitte auch auf diese inneren Hinweise achten, sie können wichtig und heilsam sein, und so erfordert auch der Umgang mit unseren Gedanken viel Sensibilität und Aufmerksamkeit.
Faktisch geht es natürlich durchaus darum dieses Selbstbild, bzw. Konzept von uns, einmal wenigstens nur kurz wirklich nicht mehr wahrzunehmen, es zu vergessen und dadurch vorübergehend auszulöschen.
Aber das geschieht durch Hingabe und wird uns geschenkt, nicht durch irgendwelche aktiven oder gar verkrampften Versuche, gleich welcher Art.
Und falls uns diese vielen Gedanken erneut überschwemmen, was ganz sicher immer und immer wieder vorkommt: einfach zurückkehren zur eigenen aktuellen Übung – ohne Drama – und weitermachen.
Ja, und wie gehen wir nun mit diesem Ego in unserem Alltag um? – Wie immer? Naja: „beinahe“ würde ich sagen, denn auch hier wird sich unsere innere Haltung und Sicht auf die Dinge parallel zur Meditationsübung auf dem Kissen immer weiter entwickeln.
Dazu hier ein kleines Beispiel von meiner „Freundin“, der wunderbaren Wikingerin Helga, der tapferen und standfesten Gattin von Hägar dem Schrecklichen. – Ja, ich weiß, – seht es mir nach, aber ich bin nunmal ein großer Fan dieser liebenswerten kleinen Comic-Zeichnungen. Einige werden diese Bildergeschichten aus Zeitung und Büchern kennen.
Helga also steht im dunklen Zimmer am Fenster und das Licht eines großen Sterns fällt herein.
- „Hallo lieber Abendstern! Bitte erfülle mir einen Wunsch… Ich weiß, Du hast das schon öfter gehört, aber… Ich wünsche mir, dass es auf der Welt nie mehr Krieg, Krankheit, Hunger, Elend, Dummheit und Intoleranz gibt …“
- Dann dreht sie sich schon beinahe vom Fenster weg, da fällt ihr noch was ein, und sie wendet sich wieder dem Abendstern zu:
- „Ach, ja…und da wäre noch dieses fliederfarbene Kleid, das ich in der Stadt gesehen habe…“
Ich finde das immer wieder ungeheuer anrührend, liebenswert und so ober-menschlich! Wer versteht Helga nicht? Daher ist sie für mich ein so wunderbares Beispiel.
Als „Mensch“ hat sie ein Ego, natürlicherweise. Das haben wir Menschen uns nicht selbst ausgedacht und zusammengebaut, sondern es hat sich im Laufe der Evolution entwickelt und ist uns gegeben worden und ist jetzt so, wie es ist. Auf jeden Fall aber menschlich.
Helgas „große“ Wünsche sind ja im Großen und Ganzen sehr nobel, und ich gehe davon aus, dass sie ehrlich gemeint sind. – Krieg, Krankheit, Hunger, Elend, Dummheit und Intoleranz. – (Leider, leider gerade wieder einmal extrem aktuell.)
Wir kennen diese Wünsche und Bitten vermutlich alle, auch wenn sie manchmal leicht zu Floskeln werden können.
Je tiefer und inniger wir uns jedoch in diese Wünsche einlassen, desto selbstloser und umfassender werden sie. Irgendwann ist dann auch der ausgesprochene Wunsch nicht mehr wichtig und nötig, weil man selbst mit Haut und Haar zum Wunsch, bzw. zur Bitte für(!) geworden ist. Und spätestens dann ist das genau unser Weg.
Etwas für jemanden zu erbitten oder zu wünschen, geht ein in die totale Selbstlosigkeit. Ob und wie sie dann wirkt, werden wir nie genau wissen, aber auf sie vertrauen können wir allemal und uns dem Unnennbaren überlassen.
So weit zu Helgas „großen“ Wünschen. Aber dann haben wir da ja noch den etwas kleineren Wunsch, nämlich das fliederfarbene Kleid! Spukt es womöglich immer noch in unserem Kopf herum? Was also tun damit?
Wenn er sich nicht sowieso schon längst erledigt hat, dann spricht auch nichts gegen dieses schöne Kleid, bzw. diesen Wunsch. Solange sich die Wünsche aus dem sogenannten Ego nicht in unüberwindbare Gier verwandeln, von der wir als eine der Leidenschaften besessen, gegängelt und so zum Leiden gebracht werden, ist auch die Erfüllung eines so „profanen“ Wunsches nichts, was wir uns versagen müssten. Wir können und dürfen uns selbstverständlich darüber freuen. Auch Freude auf „dieser Ebene“ sozusagen kann und soll gelebt werden. Natürlich.
Buddha z.B. lehrte den „Mittleren Weg“, und Jesus tafelte mit den Zöllnern und feierte und hatte sicher auch seine Freude daran.
Und es ist doch auch etwas sehr Erstaunliches und eigentlich Unglaubliches, dass wir uns überhaupt durch und in unserem Ego freuen können. Ich meine z.B. unserer Fähigkeit, nachzudenken, abzuwägen, Entscheidungen zu treffen und sich auch unsere vielen kleinen Irrtümer einzugestehen, um dann auch mal über uns selbst lachen zu können.
Mit oder ohne fliederfarbenem Kleid, aber auch das in vollem Ernst!
ABER:
Zum Schluss nun allerdings doch noch ein großes „Aber“, nämlich eine sehr wichtige Anmerkung, die ich auf keinen Fall unter den Tisch fallen lassen darf!
Unser Ego bezieht schnell Dinge ein und übernimmt sie in das eigene Bild von sich selbst.
Es ist ja unser Verstand, unser logisches Denken. Daher hat es keinerlei Möglichkeiten so etwas wie Leere, Göttliches Geheimnis oder Unendlichkeit u.ä. in seine „Welt“ einzubauen, weil sie eben für uns Menschen nicht zu begreifen sind.
Das bedeutet einerseits, dass es sich zutiefst bedroht fühlt von unserer Übung, Angst hat vor der totalen Selbstvernichtung und deswegen auch verständlicherweise dagegen an arbeitet.
Zum anderen birgt es auch eine große Gefahr in sich, nämlich die, gewisse größere oder kleinere Erfahrungen bei sich selbst als eigenen Erfolg zu verbuchen und sich dadurch selbst zu überhöhen.
Und genau so kann es zu der überall beschriebenen gefährlichen Zen-Krankheit führen, nämlich, dass der Mensch, dem gewissen Erkenntnisse und Erfahrungen geschenkt wurden, über sein Ego glaubt, er sei jetzt etwas Besonderes! Jetzt glaubt, er sei der Beste, Größte usw. und irgendein Ruhm würde ihm jetzt zustehen. Und daraus folgt dann womöglich das Schlimmste, nämlich, dass er meint, er hätte ja jetzt alles begriffen, könne daher ab sofort keine Regeln mehr brechen und sich somit alles erlauben…!
Das ist natürlich v-ö-l-l-i-g falsch verstanden! (Wenn auch nicht bösartig gemeint vom Ego, sondern auch hier einfach seine Natur.)
Wie ein Priester aus dem Mittelalter, nämlich der Meister der Wolke des Nichtwissens aus christlicher Sicht schrieb: „ER ist dein Sein, aber du bist nicht Seines.“ Etwas einfacher von mir ausgedrückt: „Gott ist dein Sein, aber du bist nicht Gott.“
Also ist es wirklich sehr wichtig, da aufzupassen. Für Lehrer und Schüler, und es ist sogar die Pflicht des Lehrers den Schüler darauf hinzuweisen, falls er so eine Einstellung beim Schüler deutlich zu erkennen glaubt. Das ist immer ungemütlich und wird natürlich als sehr kränkend empfunden, aber: das einzige, was gekränkt sein kann, ist unser Ego. Und wenn man sich tiefer einlässt, wird schnell verständlich, was gemeint ist.
Ihr seht, was für eine hochkomplexe, vielschichtige und faszinierende Angelegenheit unser „Sein“, inclusive unserem Ego ist.
Trotz meiner Erklärungsversuche dazu auf der einen oder anderen Ebene, ist allerdings nie zu vergessen, dass die Wesenswirklichkeit und unsere Lebenswirklichkeit, niemals voneinander zu unterscheiden oder zu trennen sind, obwohl ich genau das bei meinen Ausführungen notgedrungen getan habe. Aber es gibt einfach nichts anderes als genau dies Eine und zwar genau jetzt.
… Und es bleibt nicht zu verstehen…..
Fazit: Einfach weitermachen!
Danke.
UR-F