Die Anlässe zur Dankbarkeit sind begrenzt? Man kann dankbar sein für die Schwierigkeiten, denen wir begegnen, für die Angriffe, die Beleidigungen, die Verleumdungen, die uns treffen, die Unglücke, die uns zustoßen, die kleinen oder schweren Krankheiten, die wir erleiden, – dafür soll man dankbar sein? Oder ist es so, dass die Dankbarkeit, die Liste der Dankbarkeit diese Anlässe nicht umfasst? Sie umfasst sie, vor allem, wenn wir Übende sind: es ist eine Dankbarkeit, die schwerer fällt, die langsamer hervortritt, und oft ist sie nicht unmittelbar, sondern stellt sich erst später ein. Aber immer ist es Dankbarkeit. Und warum ist es Dankbarkeit? Weil es schwierig ist, wenn nicht unmöglich, Weitherzigkeit zu erlernen, ohne viele Male auf einen Mangel an Großzügigkeit zu stoßen, unserer eigenen oder der anderer. Man kann keine Geduld erlernen, ohne den Situationen voller Ungeduld, in die wir geraten, mit einer gewissen Bewusstheit zu begegnen. Wenn diese Zwischenfälle von Engherzigkeit, von Ungeduld nicht gäbe, die Dinge oder Personen, die die zufälligen Ursachen unserer Reaktionen sind, hätten wir nicht die Möglichkeit einer Lehre, die in die Tiefe geht, um diese wesentliche Klärung hervorzuholen.
Wenn wir anfangen zu verstehen, mehr zu verstehen, besser zu verstehen und beim nächsten Mal noch mehr und besser zu verstehen, dann beginnen wir, diese Dankbarkeit, die so paradox ist, so gegen den Strich, so unverständlich für das Ich, zu fühlen, und sie wird ein sehr starker Träger der Offenheit. Dann ergreift uns die Freude an dem Unvorstellbaren: dankbar zu sein für etwas, das uns gestört hat, krank gemacht hat, gedemütigt, frustriert, niedergedrückt hat. Weil wir, die wir unsere Bewusstheit mit jenem Leiden vermischt haben, befähigt sind, tiefer auf den Grund zu gehen und das Aufleuchten der Barmherzigkeit zu erfahren. Während eines hypothetischen fortwährenden friedlichen Zustandes (der nicht durch innere Arbeit erreicht wäre) hätten wir diese grundlegenden Vertiefungen nicht gehabt.
Wir können uns das nützlicher Weise in Erinnerung rufen, wenn wir in etwas hineingeraten, das uns nicht gefällt, das uns leiden lässt: es ist nutzlos, dass wir uns anstrengen, dankbar zu sein, aber erinnern wir uns, dass diese Gelegenheit, wenn wir sie in die Übung einbeziehen, ein fruchtbarer Same der Dankbarkeit wird, auch wenn wir es erst einmal nicht spüren, auch wenn wir es nicht sofort wahrnehmen. Und so umfasst die Liste, die lange Liste, ab einem gewissen Zeitpunkt schließlich auch diese Gelegenheiten, und das ist eine ganz entscheidende Wende auf dem inneren Weg.
Wir können wirklich sagen, einen Weg gefunden zu haben, ganz auf dem Weg zu sein, wenn wir beginnen, diese neuen Dimensionen zu berühren, die nicht zu unserer bisherigen Ausstattung gehören. Und diese weite, äußerst weite Fähigkeit zur Dankbarkeit wird dann ein Ferment, eine Unterstützung, um Erbarmen mit all jenem zu entwickeln, was krank ist, was Horror, Ungerechtigkeit, Gewalt ist, den vielen zugewandt, die über kein Instrument der inneren Arbeit verfügen. Selbstverständlich kann man nicht der Gewalt dankbar sein, aber hier ist nicht die Dankbarkeit gemeint, von der die Rede ist, sondern vielmehr das Erbarmen, und das Erbarmen gehört keiner anderen Familie an, das Erbarmen ist in der Fähigkeit enthalten, dankbar zu sein. Sagen wir mal, wenn das eine da ist, ist auch das andere da und umgekehrt, beides sind Formen der Öffnung des Herzens.
Übersetzung: Marlis Fahrendorf
KF