Ein herzliches Willkommen zum heutigen Zazenkai hier in Hattingen -Welper. Wenn ich das Wort Herzlich gerade sage, dann ist es gesprochen aus dem Herzgeist heraus, aus dem Herzgeist indem wir jetzt hören, aus dem Herzgeist heraus indem ich jetzt spreche.
Eine halbe Stunde Sitzen in der Stille hat uns bereits eingestimmt in diesen gemeinsamen Tag der Meditation – im Einlassen auf dich selbst, auf alles, was gerade spürbar ist – was sich dir zeigt und sich dir offenbart.
Heute an diesem 18. Dezember ist der letzte Zazenkai in diesem Jahr. Wir sind mitten im Advent – Advent, der Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten, der Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn, das Hochfest der Geburt Jesu in den christlichen Kirchen.
Was bedeutet dir Weihnachten? Was ist Weihnachten für dich? Was ist dir wichtig?
In der Vorbereitung auf dieses Teisho habe ich einen Abschnitt über Weihnachten im letzten Buch von Perry Schmidt-Leukel gelesen. Perry Schmidt-Leukel ist uns hier inzwischen ja fast schon vertraut, denn Klaus hatte vor ungefähr drei Monaten aus eben diesem Buch, „Das Wort vom Geheimnis der Welt“ zitiert in seinem Teisho zum Thema „Leid“. Und auch Ulrike hat, soviel ich weiß, im November in ihrem Teisho sich auf ihn bezogen. Nun, aller guten Dinge sind drei und so bin ich jetzt die Dritte im Bunde.
Perry Schmidt-Leukel ist Seniorprofessor in Münster für Religionswissenschaften und interreligiöse Theologie.
Aus seinen Ausführungen ist zu erkennen, dass er sich lange schwer getan hat mit Weihnachten, einer Vorstellung von diesem Jesuskind in der Krippe, der Vorstellung, da liege Gott selbst in der Krippe oder jemand, der vom Himmel herabgestiegen sei.
Ich zitiere von Seite 67:
Nicht Gott ist in Jesus Mensch geworden und auch nicht ein von Gott in aller Ewigkeit im Himmel (und schon gar nicht vor zweitausend Jahren auf Erden mit Maria) gezeugter Sohn.
Was in Jesus Mensch „geworden“ ist, was sich hier in einem Menschen verkörpert hat, ist Gottes gutes und ewiges Wort: das Wort von Gottes Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit. Dieses Wort ist in Jesu Leben sichtbar geworden. Dieses Wort „ist Fleisch geworden“, wie es im Johannesevangelium (1,14) heißt.
Soweit dieses erste Zitat.
Als Professor für interreligiöse Theologie hat er sich mit der Sichtweise anderer Religionen beschäftigt, so auch mit der buddhistischen Sichtweise, was für unsere Zen-Kontemplation wichtig ist. Um den Zusammenhang nachzuvollziehen, lese ich nochmal einen weiteren Abschnitt.
Ich zitiere von Seite 69;
Es gibt also einen Weg, bereits in diesem Kind den späteren Gottessohn zu sehen. Dieses Neugeborene, wie jedes Neugeborene, erlebt und lebt seine – mit Friedrich Schleiermacher gesagt – „schlechthinnige Abhängigkeit“ und gibt sich vertrauensvoll denen hin, die ihm als Vater und Mutter begegnen. Implizit hofft es auf jene vorbehaltlose Güte der Eltern, die Jesus als das herausragende Merkmal der väterlichen und mütterlichen Haltung Gottes zu uns verkündet und die Jesus selbst in seinem Leben verkörpert.
Im Jesuskind erkennen wir, rückblickend und vorwegnehmend zugleich, jene Haltung, die der erwachsene Jesus in seinem Leben vollendet.
Wenn wir in diesem Sinn das Kind in der Krippe feiern, dann fordert es uns heraus, die elterliche Güte und Barmherzigkeit Gottes selbst weiterzugeben.
Elterliche Güte und Barmherzigkeit selbst weiterzugeben – dies ist wahrlich eine große und ständige Herausforderung an uns alle! Jede und Jeden – ausnahmslos, nicht nur in Bezug auf eigene Kinder, sondern in Bezug auf alle Wesen, diese Güte und Barmherzigkeit zu leben.
Dazu der bedeutende Satz:
„Wie eine Mutter schützt das einzige Kind mit ihrem Leben, so möge voller Güte man entfalten seinen Geist zu allen Wesen“ – heißt es in einem alten buddhistischen Text (Suttanipata 149).
Suttanipata stammt aus dem Palikanon, den wichtigen Lehrreden des Buddhismus.
Wie eine Mutter schützt ihr einziges Kind mit ihrem Leben!
Was steckt da für eine unbändige Kraft dahinter, eine Wesenskraft, die sich da zeigt, in mütterlichem und väterlichem Schutz! Vielleicht haben einige von euch selbst schon Situationen erlebt, in denen eine solche Kraft sich einfach in euch entfaltet hat.
In dieser vollen Güte und in ganzer Liebe zeigt sich dann diese unbändige Kraft, die über das eigene Leben hinausgeht. Es ist eine sehr große Herausforderung, egal wie alt wir auch werden, sich in diese Haltung hineinzubegeben und zwar voll und ganz.
Ein sicher besonderes Beispiel dafür kann uns Maximilian Kolbe sein, der sich im zweiten Weltkrieg freiwillig für einen zum Tode Verurteilten meldete und dann selbst im KZ in Auschwitz starb.
Ich glaube, es kann eine bereichernde Weise sein, sich in der Haltung der vollen Güte und Barmherzigkeit zu allen Wesen zu üben und sich so auf Weihnachten zu freuen.
Ein weiterer Aspekt, der mir selbst sehr wichtig ist, zeigt sich in einem Satz von Martin Luther, der im Tedeum, dem Stundengebet der Benediktiner, für den 24. Dezember steht:
Ich ermahne und warne jedermann, dass man das Spekulieren bleiben lasse und nicht zu hoch flattere, sondern hienieden bleibe bei der Krippe und den Windeln, darinnen Christus liegt, in welchem wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.
Martin Luther warnt und ermahnt, das Spekulieren zu lassen. Im Zen geht es immer und immer wieder darum, jegliche Vorstellungen und Konzepte zu lassen – diese Vorstellungen der dualistischen Sichtweise loszulassen.
Nicht zu hoch zu flattern – sich einfach nicht zu verlieren in Vorstellungen von Heiligem und Besonderem.
„Nichts von Heilig“ heißt es in einem Koan, dem ersten Fall im Hekiganroku.
Martin Luther holt uns stattdessen hier direkt auf den Boden der Tatsachen zurück, auf den Boden, den Grund, die Matte hier unter dir.
Sondern hienieden bleibe bei der Krippe und den Windeln!
Ihr wisst, ich bin eine alte Krankenschwester – ja es geht genau darum, um diesen „Schiss“ in den Windeln.- einem Menschen den Popo zu säubern, sich nicht zu drücken, wenn es darum geht, Unangenehmes zu tun –auch wenn es noch so viel Überwindung kostet. Und dies gilt natürlich auch für andere Kontexte, nicht nur für die Pflege, doch ich bin sozusagen in der Pflege aufgewachsen und es sind meine Erfahrungen.
Wenn es auch noch so viel Überwindung kostet, Überwindung nämlich von was? – Von den Widerständen, diesem kleinen Ich, diesem kleinen Ego, das vielleicht da flüstert: Das kann doch jemand anders machen.
Nein – Nein und nochmals Nein! Es geht immer um DICH selbst – es geht um deine Verantwortung für dein Tun und Handeln. Es geht um deine Erfahrung, es geht um dein Leben und deinen Tod!
Martin Luther schreibt weiter: …darinnen Christus liegt – in welchem wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig!
Die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig –
WO IST DAS DENN?
HIER – HIER – HIER und JETZT ist Weihnachten – ist Christus, die Fülle der Gottheit leibhaftig.
Jetzt habe ich euch schon eine Menge zugemutet – vom Kalipanon über Martin Luther bis hin zu Perry Schmidt-Leukel.
Doch wir sind alle im Gleichen.
Damit es nun zum Abschluss weihnachtlich wird, möchte ich schließen mit Hermann Hesse und seinem wunderbaren Gedicht „Weihnachten“
Weihnachten
Ich sehn‘ mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub‘, ich hab’s einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
dass alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei’s Sonnenstrahl,
dass Regen, Schnee und jede Wolk,
dass all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muss gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön‘
ein’s jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und wird‘ still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, das war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb‘ bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!
Hermann Hesse
Danke!
Stephanie Hahn

