Licht und Dunkelheit

Ein herzliches Willkommen zum heutigen Zazenkai hier am Donnerstag in Hattingen Welper – herzlich willkommen im Zendo – jetzt auf deiner Matte, deinem Platz im Leben jetzt – herzlich willkommen auch in der Gemeinschaft, im Miteinander, in dem wir uns gegenseitig unterstützen im Ausgerichtet Sein auf die Stille.

Wer ist es, der dich jetzt willkommen heißt?

Herzlich – das Wort, das ich gerade so oft genannt habe, ist auch Berührung im Herzen – Herzberührung. Da berührt mich etwas zutiefst, da bewegt sich etwas in mir.

So ist mein Wunsch für uns heute: Erleben wir diesen Tag in der Stille in dieser Herzberührung, in der Bewegung, auch wenn wir äußerlich betrachtet einfach nur still auf dem Kissen, Bänkchen oder Stuhl sitzen.

Ich möchte in Verbindung zum letzten Zazenkai hier vor vier Wochen anknüpfen an das Teisho von Ulrike. Wir haben gemeinsam das Bild „Christ“ von Satish Gupta betrachtet. Ich habe es nochmal mitgebracht für diejenigen, die nicht dabei waren. Besonders der goldfarbene Lichtkranz fällt auf – Gold – die Farbe steht für das Göttliche – das Licht. Auch heute hören wir immer wieder von Licht.

In unserer Übung im Zen sprechen wir oft vom Loslassen. Es ist das Loslassen von Gedanken, von Vorstellungen, die ich mir mache und die sich fast unmittelbar direkt vor jegliche Wahrnehmung schieben – wer kennt das nicht? Der Verstand springt sozusagen direkt mit der Bewertung und Beurteilung dahinein und beginnt zu kategorisieren und einzuordnen. Nicht selten wird dies dann auch für die einzige und richtige Wahrheit gehalten.

Vor kurzem hörte ich einen Beitrag im Radio aus Kirche im WDR. Es sprach Pfarrer Eberhard Helling aus Lübbecke. Er sprach von etwas, das wir alle kennen und wovon wir wissen, dass wir es eigentlich nicht sollten und doch tun wir es fast ständig: Nämlich Menschen, denen wir begegnen, in Schubladen zu stecken.

Er sprach auf sich selbst bezogen von vier Schubladen: Die Lade „freundlich“, die Lade „blöd“, die Lade „nützlich“ und die Schublade „wenig hilfreich“. Sobald er einen Menschen sieht, ist die Schublade schon auf und der Mensch steckt drin.

Doch manchmal, so berichtet der Autor, erlebt er Überraschungen. Da stellt sich der Mensch, der bisher in der Schublade „blöd“ steckte, als jemand heraus, der die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt stellt, der mir zwar unangenehm und äußerst unbequem ist, der mich jedoch zum Nachdenken bringt, mir neue Sichtweisen ermöglicht und damit meine persönliche Entwicklung fördert.

Der Autor führt hier eine Bibelstelle aus dem Lukasevangelium an. Jesus sagt darin: Ihr seid das Licht der Welt. Das bricht dieses Schubladendenken auf und lässt bewusstwerden, dass ich dabei an eigenen Vorstellungen hafte. Jesus sagt schlicht und einfach: Ihr seid!

Ohne jegliche Einschränkung – ohne eine Bewertung – und an keine Bedingung geknüpft wie:  erst musst du dies oder jenes leisten, erst dann bist du vielleicht irgendwann mal ein kleines Licht. Jesus schaut die Menschen an – sieht den Menschen – sieht das Wesen – er sieht das Licht in jedem Menschen.

Pfarrer Eberhard Helling führt die Bibelstelle noch weiter aus: Das Licht nicht unter den Scheffel stellen: Eine Aufforderung, dieses Licht nicht zu verbergen, sondern dieses Licht in die Welt zu tragen – mit der eigenen, einzigartigen und besonderen Art und Weise Licht und Helligkeit zu sein und damit auch Licht ins Leben anderer zu bringen.

Im Zen heißt es: Alle Lebewesen haben Buddhanatur – alle Lebewesen – auch keine Ausnahmen, Einschränkungen oder Bedingungen.

Kodo Sawaki, ein japanischer, bedeutender Zenmeister des 20. Jahrhunderts, schreibt in seinem Buch: Zen ist die größte Lüge aller Zeiten auf S. 27 „Jeder Einzelne von uns ist das Licht: Keiner unterscheidet sich auch nur ein bisschen von Buddha. Buddha bedeutet sich selbst. Wenn DU nicht als Buddha lebst, wer dann?“

In den Koans der Sammlungen geht es in den Begegnungen von Mönchen, Schülern und ihren Meistern um die Realisierung dieser Buddhanatur – dieser Wesensnatur – wir könnten auch sagen um das Licht in jedem Menschen.

Im Fall 28 des Mumonkan, Ryûtans Name hallt seit langem nach, geht es auch um Licht, um Loslassen von Vorstellungen und um diese Realisierung der Wesensnatur.

In diesem etwas längeren Koan sucht Tokusan den Zenmeister Ryûtan auf und will, wie es im Koan heißt, mit „großer Beharrlichkeit“ unbedingt Unterweisung bekommen. Tokusan hat große Erwartung an den Meister.

Es wird spät in dieser Begegnung und es geht in die Nacht hinein. Ryûtan fragt Tokusan dann: “Möchtest du nicht schlafen gehen?“ Tokusan verneigt sich und will hinausgehen. Da sah er auf einmal wie dunkel es draußen war und kam zum Meister zurück.

„Es ist pechschwarz draußen!“ sagte er. Und was macht Ryutan da? Er zündet ihm eine Laterne an. Ja klar, wie hilfreich könnte man da denken. Das wird Tokusan den Weg erhellen, so dass er seinen Weg finden kann. Tokusan streckte gerade seine Hand aus um die Laterne zu ergreifen.

Was macht Ryûtan in diesem Augenblick? Er bläst das Licht aus. Was soll denn nun sowas jetzt? Wie soll denn Tokusan da in dieser pechschwarzen Nacht seinen Weg finden? Wie kann Ryûtan ihm da das Licht auspusten?

Nun, Tokusan verneigte sich tief und im Koan ist zu lesen: In diesem Augenblick wurde Tokusan plötzlich erleuchtet.

Was ist nun mit dieser Dunkelheit, dieser pechschwarzen Dunkelheit, was ist mit dem Licht, was ist mit dem Wort Jesu: Ihr seid das Licht?

Im weiteren Verlauf des Koans können wir lesen, dass Tokusan am nächsten Tag seine ganzen Sutren Kommentare in die Halle brachte und verbrannte.

Was hat Tokusan erfahren? Was erfahre ich? Viele Worte – Begriffe – Vorstellungen – Ist die Dunkelheit das Licht? Lassen wir all diese Vorstellungen fallen, was ist dann? Was erfahre ich selbst, wenn mir in den Situationen meines Lebens im übertragenen Sinne die Kerze ausgepustet wird? Was erfahre ich, wenn ich mich als das Licht erlebe?

Ich kann mich noch gut an eine Situation in meinem Leben erinnern, als innerhalb von wenigen Sekunden all meine Lebensplanungen, all meine Vorstellungen, Ideen und Zukunftspläne zunichte gemacht wurden von einer Wahrheit, die mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat – wie ein Kartenhaus fiel alles zusammen – und dann?

Was war in diesem Augenblick? Die Welt stand still – Stille – und dann? Sie – diese Welt – oder besser gesagt: Ich bin in Bewegung gekommen: Klar – Neu – Jetzt!

Doris Zölls- eine deutsche Zenmeisterin drückt es in ihrem Buch – Wie ein Vogel im Flug – so aus: Das Wahre Selbst zeigt sich in dem, was gerade ist.

Nach so vielen Worten und vielleicht auch Verwirrung möchte ich schließen mit einem möglicherweise erhellenden Gedicht von Ryokan, bitte nicht zu verwechseln mit dem Zenmeister Ryûtan aus dem Koan. Dieser ehemalige Mönch Ryokan, der das Gedicht schrieb, lebte lange als Eremit und widmete sich der Kalligraphie und Poesie.

Hören wir jetzt seine Worte:

Der Regen hat aufgehört, die Wolken sind weggezogen,
und der Himmel ist wieder klar.
Wenn dein Herz rein ist, dann sind alle Dinge deiner Welt rein.
Gib diese vergängliche Welt auf, gib dich selber auf.
Dann werden der Mond und die Blumen dir den Weg weisen.

So lassen wir uns jetzt in der Stille berühren und lassen uns ganz einfach vom Mond und den Blumen den Weg weisen.

Herzlichen Dank

Stephanie Hahn